Wer üblicherweise auf brandenburgischen oder mecklenburgischen Gewässern Boot fährt, ist Wasser gewohnt, in das man hinein sehen kann. Der sandige Grund trägt dazu bei. Häufig gibt es respektable Sichttiefen und viele Gewässer sind sogar für Freizeittaucher attraktiv. Reist man nach Niedersachsen, beispielsweise an den Fluss Oste, wirkt das Wasser wie eine schlammige Brühe. Am Ufer ist Schlick. Das Wasser ist nicht so appetitlich wie auf der Havel oder ihren zahlreichen seenartigen Verbreiterungen. Das lässt sich bereits auf den Satellitenbildern von Google gut erkennen. Während das Wasser der Havel dunkelblau erscheint, ist die Oste braun. Offen gesagt, in dem Fluss möchte ich nicht baden.
Im niedersächsischen Ort Hemmoor erzählte ein Einheimischer, dass die Region zahlreiche Urlauber an die östlichen Bundesländer verloren habe. Die Nähe zur Großstadt Hamburg machte den ländlichen Saum entlang der Elbe bis hin nach Cuxhaven einst interessant zum Wohnen, Urlaub machen und vielleicht sogar fürs Wochenendhäuschen. An manchem Deichstück gibt es nette mit Reet gedeckte Häuser, die von betuchten Hamburgern hergerichtet wurden. Schaut man genauer hin, sieht die Lage so aus: Man wohnt am Deich, hinter dem ein Fluss fließt. Wegen des Deiches kann man ihn gar nicht sehen. Jener selbst ist in viele einzelne eingezäunte Abschnitte unterteilt, die als Weiden für Rinder und Schafe verwendet werden. Zwischen dem Deich und im Haus verläuft eine schmale Straße ohne Bürgersteig und hinter dem Haus erstrecken sich auf flacher Ebene eingezäunte Weiden oder Obstplantagen. Was bleibt, ist das eigene Grundstück. Für gestresste Manager, der sich am Wochenende in die Stille zurückziehen möchten, mag das reichen.
1989 fiel die innerdeutsche Grenze. Allmählich wurde der Osten saniert. Wer heute nach Röbel an die Müritz fährt, findet eine hervorragende tourisitische Infrastruktur vor und sie wird immer besser. Im Vergleich zur überwiegend zaunlosen Gegend in Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg mit zahlreichen Gewässern und nahezu endlosen Möglichkeiten zum Wandern und für andere Freizeitaktivitäten, ist das flache Land entlang der Elbe in seiner heutigen Form eindeutig im Hintertreffen. Zwar gibt es lokale Anziehungspunkte, beispielsweise den Kreidesee in Hemmoor, der von Tauchern wegen seiner Tiefe und Klarheit des Wassers geschätzt wird. Natürlich ist auch ein Spaziergang entlang der Elbe nicht zu verachten. Man kann die großen Ozeanschiffe im stromartigen Mündungsgebiet beobachten. Es gibt gute Fahrradwege, die wegen des fast immer kräftig wehenden Windes zumindest in eine Richtung angenehm befahrbar sind, aber die Rückfahrt gegen diesen macht aus der gemütlich begonnenen Spazierfahrt eine schweißtreibende Angelegenheit. Die Hemmoorer schätzten ihr Lokal an der Schwebefähre im Ortsteil Osten, das mit den zahlreichen an der Havel oder sonstigen brandenburgischen Gewässern gelegenen Restaurants nicht mithalten kann. Es gibt einfach zu wenig zu sehen. So konzentriert man sich in Niedersachsen mehr auf das Essen, während derjenige, der im brandenburgischen Ketzin oder Werder am Fluss sitzt, eine ausgewogenere Mischung aus kulinarischen Genüssen und landschaftlichen Reizen genießt.
Eine Bootsfahrt auf der Oste verläuft zwischen Deichen in einer flachen Landschaft. Die Fahrt auf der mitunter sehr breiten Havel führt den Reisenden durch Berlin und Potsdam. Eine reizvolle Landschaft mit zahlreichen Buchten, Windungen, Inseln, schönen Ankermöglichkeiten und Anlegestellen begleitet ihn nach Brandenburg und weiter bis hinter Havelberg, wo der Fluss in die Elbe mündet, der auch das Ziel der niedersächsischen Oste ist.
Als Bootsfahrer mit Heimathafen Berlin fällt dieser Unterschied sofort ins Auge, wenn der Niedersachse stolz auf einen schlammigen, eher schmalen Fluss zeigt, der eine relative hohe Strömungsgeschwindigkeit hat und in einen Fluss mündet, der für den gemütlichen Havelseeschiffer, eine Nummer zu groß ist. Die Elbe hat bei Brunsbüttel eine Breite von ca. 2,5 km und ein Stück weiter westlich auf der Höhe von Otterndorf bereits ca. 10 km. Die Gezeiten, Ebbe und Flut, spielen hier eine große Rolle. Mal drängt das Wasser mit hohem Druck in Richtung Hamburg und nach dem Gezeitenwechsel wieder hin zur Nordsee. Ein gemütliches Ankerwerfen, um zu baden oder zu übernachten, bietet sich hier nicht an. Für die Havel ist ein 7 m langer Verdränger mit einem 15 PS Dieselmotor prima geeignet. Auf der Elbe im Mündungsgebiet ist so ein Fahrzeug nicht das Wahre. Die Strömung, der Wind, die langen Abstände zum Ufer und Wellen bedingen ein robusteres Boot mit höherer Motorleistung. Dass ein Kaffeegedeck irgendwo ungesichert auf einer Ablage in Boote steht, kann man zumindest auf kleinen Fahrzeugen knicken.
Dem Havelskipper, der nicht selten eine Schwimmweste zwischen ihrem Kauf bis zu ihrer Entsorgung einige Jahre nur ein einziges Mal aus ihrer Verpackung holte, nämlich um sie probehalber einmal anzuziehen, wird beim Betrachten der Elbe im Mündungsgebiet der Oste klar, dass dieses Revier nicht von der gemütlichen Laissez-faire-Atmosphäre seines Reviers bestimmt wird. Dafür ist es zu rau und die natürlichen Elemente wirken in anderen Dimensionen. Hier ist bereits eine Portion Seemannschaft gefragt. Ein meditatives Kurshalten über den Daumen geteilt, wie es von manchen Wasserwanderen auf der Havel bei heißem Wetter mit trägem Blick praktiziert wird, ist auf der Elbe in diesem Abschnitt völlig fehl am Platz. Was kann schon passieren, wenn auf der Havel der Motor ausfällt? Ist man nicht gerade in unmittelbarer Nähe zu einem größeren Binnenschiff, das auf einen zuhält, ist die Gefahr, wenn es dann eine ist, mit beherzten Paddelschlägen von den Bootsinsassen in den Griff zu bekommen oder ein freundlicher Bootskollege kommt heran und bietet Schlepphilfe an.
Aber wie kommt man zurecht, wenn dies auf der schnell strömenden, schmalen Oste mit ihren schlammigen Ufern passiert? Bis hier Hilfe kommt, ist das Boot längst aufgelaufen. So schnell kann man den Anker zur Sicherung gar nicht über Bord werfen. Ein Motorausfall mitten auf der Elbe ist angesichts der beträchtlichen Entfernung zum Ufer und der riesigen Pötte, die hier fahren, alles andere als lustig. Kein Wunder, dass viele Binnen-Bootsfahrer Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern dem niedersächsischen Angebot vorziehen.
Der ambitionierte Segler wird über solche Süßwasser-Maßstäbe müde lächeln. Für ihn ist die Elbe zwischen Schleswig-Holstein und Niedersachsen bis in die Nordsee hinein ein interessantes Revier mit großer Fläche und anspruchsvollen seemännischen Herausforderungen. Wer hier unterwegs ist, spielt hinsichtlich der Schiffsführung in einer anderen Liga als der Freizeitsegler auf dem Tegeler See in Berlin. Bereits die Häfen zeigen es. Die Stege schwimmen und werden von langen Pfählen gehalten, an denen sie den Unterschiede zwischen niedrigem und hohen Wasserstand bedingt durch Ebbe und Flut, Wind und Wetter durch ständiges Auf- und Abrutschen ausgleichen. Für viele Gelegenheitsskipper mit Kindern und Hund ist das Mündungsgebiet der Elbe eine Nummer zu groß. Für sie ist die vielfältige, durch Kanäle und Flüsse verbundene Seenlandschaft Mecklenburg-Vorpommerns und Brandenburgs die bessere Wahl.
Moin,
ich finde diesen Beitrag super geschrieben. Er hat den Nagel auf den Kopf getroffen. Ich kenne die Oste habe hier in Hemmoor mein Boot liegen. Aber weiter Richtung Bremervörde wird die Oste sehr schön.
Gruß
Niedersachsen hat schöne Ecken, keine Frage. Doch aus Sicht des gemütlichen Bootsfahrers oder Wasserwanderers kann es nicht mit dem Binnenrevier Berlin-Brandenburg-Meckpomm mithalten. Das Segeln auf der Elbe in Nordseenähe ist eines ganz andere Nummer als auf den Binnenseen. Mal eben zum Feierabend 2 Stunden aufs Wasser, kann man im Tidengebiet mit kräftiger Strömung vergessen. Die nördlichen neuen Bundesländer sind auch für den Familienurlaub auf dem gecharterten Boot ideal. Der Mix aus Wasser, Gastronomie, Natur und sonstigen Sehenswürdigkeiten stimmt. Das System der ‘Gelben Welle’ mit vielen Gastliegern und zahlreichen Stadtanlegern ist sehr attraktiv. LG Jens
So ist der Norden ! Wir dümpeln nicht auf Tümpeln, wir fahren zur See ?
Den Teil mit den Gezeiten fand ich persönlich am spannendsten.