Von Ketzin nach Werder und zum Tegeler See
Einmal Ketzin und zurück, Teil 1 2 3 415. 6. 2013 © Thomas Gade
Die zweite Nacht auf dem Boot bricht an. Die sich stetig ändernden Geräusche der Havel begleiten den Schlaf. Das leise Gluckern und Schmatzen des Wassers am Bootsrumpf hat eine beruhigende Wirkung. Anhand der Motorengeräusche von vorbeifahrenden Booten und Schiffen ergeben sich Vorstellungen über ihre Größe und ihrem Typ. Sehen können wir sie in unserer Kabine nicht.
Bei bestem Wetter scheint die Sonne, als wir morgens aus dem Boot krabbeln. Ein anderer Skipper betritt den Steg und trägt eine Tüte, die verdächtig nach frischen Brötchen aussieht. Er bestätigt dies, weist auf das Restaurant vor dem Steg und meint, dass sie von dort kämen. Aha, so läuft das. Nach einem Sprung in die Havel zum Wachwerden versuche ich mein Glück. Es sind noch keine Gäste da. Zwei Kellnerinnen sind mit Vorbereitungen beschäftigt. Auf meinen Morgengruß in die offene Tür hinein erscheint der Koch und erklärt sich bereit, fünf Brötchen frisch aufzubacken. Nach wenigen Minuten kann ich sie abholen. Der Liegeplatz wird mir immer sympathischer. Die heißen Brötchen werden rausgereicht und auf meine Bitte hin noch drei Tomaten dazu. Auf dem Boot sind Tee und Kaffee fertig. Das Frühstück schmeckt lecker auf dem in der Havel liegenden Boot. Die Seilfähre Charlotte transportiert regelmäßig Autos und Personen über den Fluss.
Binnenschiff im Ketziner Hafenbecken
Nach dem gestrigen Tag, den wir mit Streifzügen in der Umgebung verbrachten, wollen wir heute mit dem Boot fahren. Zuerst tuckern wir am Stadtanleger von Ketzin vorbei. In einem Hafenbecken an der alten Zuckerfabrik liegt ein Binnenschiff. Was hat es dort zu suchen? Es geht weiter entlang der Inseln, welche zwischen der Ketziner Bruchlandschaft und der Havel liegen. Diverse kanalartige Abzweigungen mit zahlreichen schönen Wassergrundstücken befinden sich dort. An manchen Stellen haben sich Seerosenteppiche gebildet. Dann entdecken wir einen versenkten Kahn. Vielleicht dient er zur Befestigung der Uferkante. Schließlich erreichen wir den Trebelsee und fahren weiter bis zur Havel, um gegen die Strömung, also zurück, darauf zu fahren. In der schmalen Enge ist die Gegenströmung spürbar. Die Havel trägt einen Teil dazu bei, das an anderen Orten befindlichen Hochwasser abzutransportieren. Wieder fahren wir an der Seilfähre vorbei kommen nach circa 1 km zu einer Stelle, wo sich die Havel gabelt. Das geradeaus führende Wasser heißt nun Sacrow-Paretzer Kanal, während der nach Steuerbord verlaufende Arm weiterhin Havel genannt wird. Sie verläuft in Windungen durch eine schöne Landschaft. Am Ufer, nahe dem Schilfgürtel, liegen etliche Boote, auf denen Leute faulenzen oder nebenan baden. Wir begegnen Ausflugsdampfer an, die von Berlin oder Potsdam kommend bis Ketzin fahren. Wer ein friedliches Idyll sucht, findet es hier. Unser heutiges Ziel ist Werder an der Havel.
Werder. Viele Bojen im Wasser
Dort angekommen, begutachten wir den Gastanleger des Restaurants Arielle und fahren anschließend zum Stadtanleger von Werder. Wir geraten in eine Bojenlandschaft, die Bahnen für eine Regatta markiert. Es gibt keinen Hinweis auf ein lokales Fahrtverbot und irgendwie müssen die Boote zu den dahinterliegenden Liegeplätzen kommen. Beherzt fahren wir durch und finden den Steg, an dem nur drei Boote liegen. Der Rest ist frei. Vielleicht liegt es an den Bojen, die andere Wasserwanderer abgeschreckt haben. Der Hafenmeister hat seinen Stützpunkt auf einem alten Boot und ist nur gelegentlich dort. Als wir ihn finden, nimmt er uns 6 € für eine Nacht am Steg ab. Eine Dusche gibt es nicht. Neben dem Gelände befindet sich eine öffentliche Toilette, die auch von Wohnmobilreisenden benutzt wird.
Werder ist bekannt durch sein Baumblütenfest. In der Umgebung wird Obst angebaut. Die Altstadt von Werder befindet sich auf einer Insel in der Havel. Ihre nördliche Hälfte besteht aus einer Kleingartenanlage, die andere Hälfte ist bewohnt. An sich ist es ein netter Ort, jedoch stark touristisch erschlossen. Zur Zielgruppe gehören junge Wassersportler, die zu Wettkämpfen mit verschiedenen Bootstypen anreisen, aber ganz besonders fallen die zahlreichen Rentner auf, die durch organisierte Gruppenreisen anreisen. Nichts gegen hochbetagte Rentner, aber alles hat seine Zeit, das kindliche Spielen im Sandkasten und die organisierten Kaffeefahrten im Greisenalter. Als aktiver Fünfzigjähriger, der sich noch selbst aussucht, welche Kleidung er trägt und in der Kaffeetafel oder der warmen Mahlzeit mit vielen Leuten an langen Tischen nicht die Quintessenz einer Reise sieht, fällt man tagsüber aus dem dominierenden Rahmen. Nach 19:00 Uhr sind viele Tagesbesucher verschwunden und die deutschen Restaurants schließen. Im Arielle, dem bekannten Fischrestaurant direkt an der Havel, bekommt man als später Gast einen guten Platz im Freien auf der schwimmenden Plattform, aber die frische Forelle zeigt erste Anzeichen des Austrocknens und die Bratkartoffeln wirken verdächtig nach leicht angebrannten Resten. Man hat die Wahl. Entweder die frische Mahlzeit im oktoberfestartigen Gedränge oder die Reste des Tages in der beginnenden Abenddämmerung ruhig am Fluss. Das Bier ist immer frisch. Zahlreiche Graureiher fliegen vorbei. Einige stehen auf Pfählen im Wasser.
Segelboot auf der Havel vor Werder
Auf dem Weg zurück entdecken wir zwei geöffnete italienische Restaurants. Eines bietet leckeres selbstgemachtes Eis an. In einem Hotel sitzen noch ein paar Leute. Niemand ist unter 70. Die anderen Lokale auf der Insel sind geschlossen. Nach dem Überschreiten der Brücke zum Festland kommt auf der linken Seite ein weiterer Italiener gefolgt von einem griechischen Restaurant. In beiden Lokalen ist noch etwas los.
Der Stadtanleger von Werder befindet sich in einer Wassersackgasse zwischen der Insel und dem Festland. Das Wasser, welches vom Wind bewegt wird, klatscht mit gluckernden und schmatzenden Geräuschen gegen den Rumpf. Plötzlich beginnt es zu regnen. Das Prasseln der Tropfen auf das Boot und sein Stoffverdeck übertönt alle anderen Geräusche. Es ist richtig laut. Zwei Ohrenstöpsel sorgen dafür, dass dieser Umstand die Nachtruhe nicht beeinträchtigt. Für eine Unterbrechung sorgt die nächtliche Entdeckung, dass an der Kante der geöffnete Luke etwas Wasser ins Boot sickert und die Bettdecken im Fußbereich feucht werden. Mit Müllsäcken und Paketklebeband wird die Undichtigkeit behoben.
Abeds am Stadtanleger in Werder. Es regnet.
Am nächsten Tag sind die Wolken wie weggeblasen. Die Sonne scheint, aber es weht ein Wind und es ist kühl. In einer Bäckerei bekommen wir leckere Rosinenbrötchen aus Hefeteig und machen uns so verproviantiert auf die letzte Etappe unserer Fahrt.
Sie führt uns durch den Schwielochsee nach Caputh, in der eine Seilfähre namens ‘Tussy II’ verkehrt. Welche Gründe mögen zu dieser Bezeichnung geführt haben? Weiter geht es bis nach Potsdam. Dort fällt uns eine lange Reihe nebeneinanderliegender Mietflöße auf. Das Chartergeschäft scheint nicht zu laufen. Die Meldungen über das Hochwasser sowie das langanhaltende schlechte Wetter der zurückliegenden Wochen dürften die Ursache sein.
Mietflöße zu chartern. Wo bleiben die Kunden?
Weiter geht es zur Glienicker Brücke, an der Heilandskirche am Port von Sacrow vorbei zur Pfaueninsel, Schwanenwerder und entlang des Grunewalds nach Pichelswerder in Spandau.
Wir sind längst in Berlin und fahren die kanalisierte Havel weiter bis zur Schleuse in Spandau. Hier müssen wir durch und warten am Sportbootanleger auf das Zeichen zur Einfahrt. Durch den höheren Wasserstand ist die untere Leiste, gegen die die Fender eines Bootes drücken, unterhalb der Wasseroberfläche. Ständig drücke und ziehe ich, um zu verhindern dass unser Boot ungeschützt gegen diese Leiste prallt.
Der Ausflugsdampfer Moby Dick erscheint und fährt in die Schleuse ein. Endlich leuchtet das erwartete Grün an unserer Ampel auf und wir dürfen in die Schleusenkammer. Unser Boot liegt dicht hinter dem großen Ausflugsdampfer und hier kommt es erstmals während dieser Reise zu einer stressigen Situation. Unser Boot ist entweder zu groß oder zu klein für die angebotenen Festmachmöglichkeiten und eine Leine geht über Bord beim Versuch sie über einen höher liegenden Poller zu legen. Unser Boot wäre grundsätzlich gut mit einer Leine zu halten, aber das Schraubenwasser des vor uns liegenden Dampfers wird nach dem Starten seiner Maschinen mächtig auf unser Boot drücken. Mit einer frischen Leine klappt die Sache doch noch. Aber das andere Tau muss in der Nähe des Bootes treiben. Zu sehen ist es nicht. Hoffentlich bekommen wir oder andere die Leine nicht in die Schraube. Kurz darauf erreichen wir unseren ‘Heimathafen’ und klaren das Boot auf. Möglichst bald soll es wieder losgehen.
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